Lola rennt… um Haare und Leben…

Miss Lola erschien eines Tages auf Empfehlung bei mir im Atelier.Eine Augenweide, trotz verlaufenem Make-up und mieser Laune.Ein ganz zierliches Persönchen. Modisch, dem klassisch französisch Chic verfallen und die Nase höher als der Eifelturm.Sie legte Wert auf Ihr Äußeres, das konnte man auf Anhieb erkennen.    … und dann diese Haare, ultralang, gesund und rot…

Ich hätte am liebsten direkt hineingefasst, denn solche Haare sind rar. Da bebt und tanzt mein Friseurherz wie wild in der Brust.Die Haarstruktur erinnerte mich sofort an die Haare meiner Mutter.

Sobald einem aber wieder bewusst wird, das man diese wunderschöne Haarpracht eventuell abschneiden und abrasieren muss, setzt dieser dumpfe Schmerz sofort ein und man wünscht sich sofort, das die Betroffene sich einfach in der Tür geirrt hat.

Sie wurde begleitet von Ihrem Mann, der Ihr den Arm hielt und Sie ganz Gentlemanlike die Stufen hinauf führte. Solche Pärchen sind rar – genauso wie diese Haarpracht.

Ich vermied jeglichen Blick auf Ihre Haare und konzentrierte mich auf

diese kleinen Gesten zwischen den beiden. Sie waren eingespielt aufeinander und die Rollenverteilung war klar definiert. Irgendwie kamen Sie mir vertraut vor, obwohl ich beide zum ersten Mal in meinem Leben gesehen hatte.

Sie stolzierte hinein und reichte mir die Hand, wie zu einem Handkuss.

Ich mag diese Hollywood Diven Aura einfach, kokett dominant, unnahbar und schwer zu durchschauen – kein Wunder, eben mit dieser Attitüde bin ich ja aufgewachsen.

Als wir Platz nahmen und ich das Wort ergreifen wollte, teilte mir Lola unter Tränen mit, das Sie eigentlich gar nicht hier sein wollte.

“ Mein Leben ist vorbei, wenn ich meine Haare verliere.Ich will lieber sterben.“

“ Autsch „, diese Aussage traf mich heftiger als erwartet, obwohl ich ja schon einiges bis dato erlebt hatte, war diese Aussage gar nicht angenehm. Ein falsches Wort könnte jetzt eine Lawine auslösen.

Wenigstens teilte Sie sich mit, dachte ich mir und nur so kann man miteinander arbeiten.

Klar, sind Frauen geschockt und verwirrt nach der Diagnose und das zu Recht, aber bei den meisten setzt die Sorge um den Haarverlust erst ein klein wenig später ein, oder dient als Ablenkungsmanöver. Aber die Haare dem eigenem Leben vorzuziehen, war selbst für mich neu.

Wenn mir die Betroffene gar nichts an Emotionen vermitteln, habe ich oftmals das Gefühl das Sie alles über sich ergehen lassen und nicht wirklich Herr über die Lage werden wollen.

Lola war anders, auch wenn mir der Inhalt Ihrer Aussage nicht gefiel.

Respekt zu haben vor Ängsten und Gefühlen der Patientin ist das wichtigste in dieser Phase und da Sie mich nicht einmal zu Wort kommen ließ, wusste ich , das in ihr ein Vulkan brodelte.

„Lola, ich könnte besser nachvollziehen warum Sie so denken, wenn Sie mir berichten würden wie Ihre Diagnose lautet und wie ich Ihnen helfen kann.“

„Darüber möchte ich nicht reden. Das ist tabu. Das geht Sie außerdem auch gar nichts an. Eigentlich will ich gar nicht hier sein. Das ist eh alles unnötig .“

Wow, den Ton den Sie am Leib hatte, war unglaublich.

Antihaltung ! Verbitterung ! Wut !  schmetterte mir entgegen.

Ich glaube die meisten würden nach so einem Satz sagen : Wie bitte, wie ist die denn drauf ???

Mein Kopf ratterte.

Wenn man mit kranken Menschen arbeitet, muss einem bewusst sein, das Glasseehandschuhe und Geduld ganz groß geschrieben werden. Verbitterung kann leider eine erste Reaktion auf die Diagnose sein und damit muss man definitiv zurecht kommen.

Ich kann gut nachvollziehen, das wenn man wütend ist, Dinge sagt, die man nicht so meint – aber das Tal ist eh schon tief genug und das muss einfach nicht sein.

Die Reue darüber wird sowieso kommen.

Warum also damit warten Tacheles zu reden, je eher desto besser, bevor zwischenmenschliche Beziehungen leiden oder sogar zerstört werden.

Da spreche ich erstens aus eigener Erfahrung und zweitens erlebe ich das Tag für Tag mit meinen Patientinnen.

Vielleicht ist das gerade der Grund warum ich sensibler als im Normalfall reagiere. Manche Taten oder Gesagtes kann man einfach nicht mehr zurück nehmen.

Puffer zwischen den Parteien zu schaffen, ein Auffangbecken zu geben oder einfach nur der/diejenige sein, welche/r sich traut, den Betroffenen  Paroli zu bieten kann ne Menge bewirken.

Die Krankheit ist kein Freifahrtsschein dafür respektlos zu sein, egal in welcher Form und egal von welcher Seite.

Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, das Ihr Mann zum einen litt, als er die Aussage hörte und zum anderen förmlich im Boden versank, weil er sich für das ruppige Benehmen seiner Frau schämte. Gerade als er etwas dazu sagen wollte, stand ich auf und hielt Ihr die Hand zur Verabschiedung hin.

“ Sie müssen nicht hier sein, ich habe Sie nicht hergebeten, sondern Sie haben mich kontaktiert.

Ich weiß nicht warum Sie solche Aussagen tätigen, die Chance diese und Sie zu verstehen haben Sie mir genommen, in dem Sie ganz klar einen Riegel davor geschoben haben. Ich rolle den pinken Teppich für meine Patientinnen aus, aber bestimmt nicht den roten.

Vor allem dann nicht, wenn  Sie respektlos mir gegenüber sind und in diesem Ton mit mir reden.

Ich habe eine menge Verständnis für Ihre Situation, aber es gibt Grenzen und diese haben Sie gerade deutlich überschritten. Ich wünsche Ihnen alles Gute. “

Fassungslos starrte mich Lola an und verweigerte mir Ihre Hand, man konnte ganz deutlich erkennen das Sie nicht gehen wollte.

In diesem Moment suchte Sie den Blick Ihres Gatten und erflehte förmlich seine Hilfe. Doch er verstand sehr wohl, das er Sie jetzt ins offene Messer laufen lassen musste, damit Sie sich dem Konflikt stellte.

“ Eine Entschuldigung wäre mehr als angebracht „, meinte er ganz trocken.

Sie rang nach Fassung und man sah Ihr den innerlichen Kampf an. Sie wusste ganz genau, das Sie im Unrecht war. Aber Sie gehörte zu der Generation, denen eine Zacke aus der Krone fiel, sobald es darum ging sich Schwächen einzugestehen.

Ich habe gar nicht auf Ihre Entschuldigung gewartet. Für mich war schon die Tatsache das Sie darüber nachdachte Erfolg genug.

Hintergrundinformationen sind für mich einfach Hauptbestandteil meiner Arbeit. Ich muss abwägen können, ob die Perücke wirklich von Nöten ist oder nicht. Es gibt leider Gottes Diagnosen, die nur ein gewisses Zeitfenster haben und gerade dann sollte man einen anderen Lösungsweg vorschlagen.

Wenn ich ein Verkäufer wäre, würde ich das wahrscheinlich ignorieren, aber dem ist nicht so. Mir ist wichtiger der Patientin wirklich zu helfen und zu unterstützen, als Ihr etwas aufzuschwatzen, von dem Sie nicht wirklich lange etwas haben wird.

Die Medikationen, Zyklen, Therapieabläufe und Teilnahme an Studien, all das ist einfach hilfreich für meine Arbeit und die Reaktion ist immer wieder aufs neue dieselbe : warum, wieso, weshalb.

Sinn und Zeitfenster – darum. Und ich glaube, mehr muss man gar nicht dazu sagen.

Lola gab nach und packte aus.

Ich habe innerlich nur mit dem Kopf geschüttelt, denn Sie hatte trotz der schlimmen Diagnose, die beste Diagnose.

Aber woher sollte Sie das auch wissen. Wenn Ihre Reaktion genauso war, wie zu Beginn unseres Gesprächs, wird Sie nur die Hälfte davon mitbekommen haben.

Angst und Panik ist immer die erste Reaktion und jeder Mensch reagiert darauf anders. Die eine hört genau hin, die andere hört weg und die nächste hört nur das was sie hören will.

Lolas Mann war überfordert ,er wusste nicht ob er Sie einfach gewähren lassen sollte oder mit der Faust heftig auf den Tisch schlagen sollte.

Ich erklärte Ihnen in vereinfachter Form, warum, wieso, weshalb man trotz erfolgreicher OP Ihr zu einer Chemotherapie riet und das es nur sei um das Restrisiko auszuschließen.

Ein Onkologe empfiehlt keine Chemotherapie einfach so um jemanden zu ärgern oder sich daran zu bereichern.

Als ich vor 10 Jahren in diesem Bereich angefangen habe zu arbeiten, schwirrten diese Gerüchte und Aussagen immer mal wieder durch die Krankenhausräume, aber mittlerweile weiß ich das einzuordnen.

Man kann es mit dem Vorzuteilen, die an der Perücke haften vergleichen.

Das ist alles Unsinn – und von den Kliniken und Ärzten  mit denen ich zusammenarbeite , weiß ich das zu 100 Prozent.

Ich wusste aus welcher Klinik Lola kam und wie gut Betreuung und Aufklärung dort sind, also warum in Gottes Namen sträubte Sie sich so dagegen. Das es dabei nur um Ihre Haare ging, konnte ich definitiv nicht glauben.

Eine Chemotherapie ist keine Spazierfahrt und ich würde auch alles hinterfragen und Informationen einholen –  wahrscheinlich auch meine Pro und Contra Liste im Gilmore Girls Style führen.

Aber auf Anraten des Arztes dennoch auf die Chemo zu verzichten um meine Haare zu retten, da bin ich raus.

Jede Patientin hat das Recht auf Einwände, Zweifel, Zweit- oder sogar Drittmeinung, aber auch wenn man Ihnen einen kompletten Leitfaden mitgibt, Tipps oder Empfehlungen  – sie haben nur zwei Möglichkeiten – dafür oder dagegen, und beides ist verbunden mit Konsequenzen.

„Wenn ich die Chemotherapie machen würde, müsste ich meine Selbstständigkeit aufgeben und das will ich nicht.

Wir wohnen in einem schicken Dörfchen in Süddeutschland, wo jeder jeden kennt und wir bekleiden dort schon einen gewissen Rang.

Mein Mann ist Arzt und ich habe meinen eigenen Betrieb. Soll ich mich verstecken oder wie?

Die Leute werden sich das Maul zerreißen oder mich bemitleiden und ich will weder das eine noch das andere.

Wir haben im Nachbortort eine Wohnung, vielleicht ziehe ich mich dorthin zurück und nehme mir ein Jahr Auszeit, aber dann wird die Meute wahrscheinlich behaupten wir hätte eine Ehekrise.

Meine beiden Söhne studieren und können jetzt keine Ablenkung gebrauchen.

Ich habe gut gelebt, vielleicht ist es jetzt einfach an der Zeit zu gehen.

Ich kann ja nicht einmal zum Bäcker gehen,sobald ich aus der Tür raus wäre, würden Schneider, Gemüsemann und Co. wissen, das ich krank bin. Das schickt sich einfach nicht.“

Sie versank vor mir förmlich im Selbstmitleid und redete sich in Rage.

Der Vulkan war sozusagen explodiert.

Das Alles hatte irgendwie null mit meinem Job zu tun, da Sie sich ja mehr oder weniger gegen die Chemo entschieden hatte.

Ich konnte aber nachempfinden was in Ihr vorging.

Wenn ein Patientin Vertrauen fasst und loslässt ist das wie ein Ritterschlag und das ist leider etwas was die wenigsten in dieser Branche verstehen.

Ferner lagen zwischen der Patientin und mir ein Altersunterschied von rund 30 Jahren und so blöd wie sich das anhören mag, die alte Garde tickt einfach anderes und das muss man einfach respektieren. Ihre Ansichten waren veraltet und die Sorge um Ihr Standing wichtiger als alles andere.

Aber ! Ihre Geschichte klang wie ein Mix aus meiner eigenen Familie.

Das 500 Mann Dorf auf Sardinien, war auf einmal ganz nah. Nur zu gut  weiß ich ,was es bedeutet Rechenschaft abzulegen. Meine Nonna, sowie meine Mutter hätten ein gemeinsames Liedchen darüber trällern können.

Wenn ich alles auspacken würde, was Lola mir mitteilte wäre ich damit schreibtechnisch gesehen, bestimmt ein paar Monate beschäftigt. Alles hat einfach immer einen Ursprung und das wird hier wieder mehr als deutlich. Ich bin froh das ich nicht dazu neige schnelle Urteile zu fällen, auch wenn mir das nicht immer ganz so leicht fällt.

Lolas Kindheit war geprägt vom Bestreben der Mutter zu imponieren und zu gefallen.

Körperliche Zuneigung, sowie Lob und Anerkennung kannte sie nicht.

Egal ob es schulische Leistungen waren oder das mit anpacken im Haushalt, für Lolas Mutter war das alles selbstverständlich. Diese Kälte und Distanz sollte kein Kind zu spüren bekommen.

Das einzige Ritual was zwischen Mutter und Tochter bestand, wurde praktisch zur Fixation und Rettungsanker für Lola : das abendliche Haare kämmen.

Kurz vorm zu Bett gehen setzte sich die beiden zusammen und Lolas Mutter kämmte ihr so vorsichtig wie nur irgendwie  möglich die Haare und das bis zu Ihrem 14.Lebensjahr. Sie trichterte Lola ein, das Sie niemals Ihre Haare kurz schneiden lassen dürfe, da Männer nur Frauen mit langem Haar begehren würden und kurze Haare auf Krankheiten schließen würden.

Nun war ich fassungslos.

Dieser Frau wurde von klein auf eingeredet das lange Haare das non plus Ultra seien – da sind selbst

Argumente wie Leben oder Lebensqualität belanglos.

Dennoch habe ich alles versucht und getan. Nach zwei Stunden und unzählig verbrauchten Taschentüchern war Lola zumindest bereit, sich ausmessen und archivieren zu lassen und darüber nachzudenken die Chemotherapie in Erwägung zu ziehen.

Ihr Mann schien so erleichtert und ich hoffte bei der Verabschiedung das wirklich alles fruchten würde, was ich Ihnen mit auf den Weg gab.

An der Tür konnte ich mir aber eine Frage nicht verkneifen.

“ Was würde Ihre Mutter heute dazu sagen ? “

“ Keine Ahnung“, erwiderte Lola wie aus der Pistole geschossen, “ Ich bin von zuhause weggerannt “

Ich musste natürlich erst einmal schlucken, aber fasste dann allen Mut zusammen und fragte Sie :

“ So wie jetzt ?! “

Lola lächelte und ging. Das war das zweite Mal, das Sie sich von mir ertappt fühlte.

Über Tage hat mich dieser Fall beschäftigt. Ich habe sogar mit den zuständigen Ärzten geschimpft, aber Ihnen kann man auch keinen Vorwurf machen.

Die Patientin hat nun mal die Wahl.

Einige Zeit später erreichte mich eine Karte ohne Absender. Als ich die Karte aus dem Briefumschlag holte und ein 100 € Schein heraus glitt , konnte ich mir schon denken worum es ging.

– Erfahrung ist nicht das, was einem widerfährt. Erfahrung ist was du aus dem machst, was dir widerfährt –

Danke für Alles. Lola

Ich war dankbar und das bezog sich nicht auf das Geld , sondern dafür das sie mir freundlicherweise mein Kopfzerbrechen nahm und mir mitteilte das Sie sich für Ihre Haare entschieden hatte.

Aber glücklich war ich über diese Entscheidung nicht. Das glich einfach einem Glücksspiel.

Ich kann nicht bestreiten, das ich immer wieder mal über Lola nachdachte, …. aber es kam nichts und die Klinik durfte aufgrund Ihre Schweigepflicht auch nichts preisgeben.

Zwei Jahre später klingelte mein Telefon.

“ Hallo, hier ist Lola“

Nach zwei Jahren war der Krebs zurück, bzw. die Sorge, das man eventuell nicht alles erwischt haben könnte, wurde bestätigt.

Lola kam mit Ihrem Mann und einem Ihrer Söhne – ein angehender Arzt.

Nachdem wir uns ausgetauscht hatten was die letzten zwei Jahre so passiert war, gab Sie mir grünes Licht die Anprobe zu gestalten.

Die Chemotherapie würde dieses Mal auch aggressiver sein müssen, somit auch Augenbrauen und Wimpern in Mitleidenschaft gezogen werden. Hätte Sie mal vor zwei Jahren schon reagiert und sich dafür entschieden, dann wäre es wahrscheinlich in dieser Dosierung und Stärke gar nicht notwendig gewesen.

Aber ich wollte nicht meckern, sondern motivieren und ermutigen und ich war erleichtert das Sie nun gewillt war, sich wirklich zu stellen.

Zum Glück konnten wir die Pigmentierung der Augenbrauen terminlich sofort unterbringen und vereinbarten zum nächsten Zyklus die Anprobe.

Alle wirkten zuversichtlich und ich war gerührt zu hören wie viel Einfluss unser damaliges Treffen auf Lola gehabt haben musste, den Ihr Sohn konnte alles 1:1 wiedergeben und bedankte sich rückwirkend noch mal dafür.

Der besagte Anprobe Termin war eine glatte Katastrophe, in der Art habe ich das auch noch nicht erlebt.Schon beim Eintreten wurde mir bewusst, das die letzten 3 Wochen an Ihr gezerrt hatten.

Ihre Gleichgültigkeit stand Ihr im Gesicht geschrieben.

Egal wie gut Lola mit den Perücken aussah, Sie empfand sich einfach als furchtbar und hässlich. ( und wenn ich sage gut, meine ich wirklich gut. Die langen Echthaarperücken waren wie gemeißelt )

Die Tatsache das der Haarverlust schon eingesetzt hatte, war natürlich nicht besonders förderlich – aber alles reden oder überreden half nichts – die Antihaltung blieb und Sie steigerte sich so in diese Aussichtlosigkeit herein, das selbst ich mit meinem Latein am Ende war. Man musste kein Experte sein, um zu erkennen das Sie sich in einer tiefen Depression befand.. Die letzten 3 Wochen hatten alles zu Nichte gemacht, was wir gemeinsam aufgebaut hatten.

Wir entschieden den Termin zu verschieben.

Die mentale Verfassung in der sich Lola befand war einfach nicht zu knacken und mir war die Perücke so etwas von egal, denn ich machte mir um ganz andere Dinge sorgen.

Denn auch das Thema Depression gab es in meiner Familie.

Zum nächsten Chemoblock rief mich Lolas Sohn an. “ Meine Mutter ist nicht einmal angereist, Simona . Sie hat sich ausgeklinkt –  damit meine ich wirklich ausgeklinkt, aus Allem und wir müssen das wohl oder übel akzeptieren.“ Mir liefen die Tränen.

“ Also rennt Sie weg, wie immer …. “ das war mein einziger Kommentar.

Ich dankte ihm für den Anruf und wünschte seiner Familie alles Gute.

Der Fall war mir eh schon zu sehr unter die Haut gegangen.

Ein weiser Satz meiner Oma schoss mir durch den Kopf und davon hatte Sie einige auf  Lager, gerade wenn Sie merkte das ich enttäuscht war oder getröstet werden musste.

„Einen alten Baum kann man nicht verpflanzen, Simona. Er wächst vielleicht mal in eine andere Richtung, aber die Wuzeln sind tief verankert.“

Ich kann Lolas Muster nicht durchbrechen oder Sie ändern. Sie ist geprägt von Ansichten, die man ihr mit auf Ihren Weg gegeben hat. Sie hat nie gelernt sich zu stellen.

Ob richtig oder falsch, das Recht darüber zu urteilen habe ich nicht.

Klar müssen wir nicht alles annehmen und akzeptieren was unsere Eltern uns eingetrichtert haben, aber man darf nie vergessen, das vor einigen Generationen Respekt noch anders definiert wurde.

Folge zu leisten, ohne zu hinterfragen war einfach Normalität.

Auch wenn Lola Ihrer Mutter den Rücken gekehrt hat und weg rannte, hat Sie sich nicht wirklich gelöst.

Aber auch in diesem Fall denke ich an meine Oma. Sie würde mit mahnendem Zeigefinger vor mir stehen und mir ganz klar sagen, das ich Entscheidungen ob und wie ein anderer Mensch leben möchte hinnehmen müsse, auch wenn Sie meines Erachtens nicht richtig erscheinen.

Ich wünsche Lola, das Sie nicht mehr rennen muss, denn ich weiß und kann nachempfinden das Sie müde ist.

In tiefer Verbundenheit Simona

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“ Fuck the Chemo “ – Party ! God save Miss America

Der Postbote klingelte.

„Guten Morgen Frau Schmitz, ich habe hier ein Einschreiben für Sie .“
Er übergab mir einen rosa Umschlag und ich unterschrieb das mir vorgelegte Formular.

Das ich ab und an Karten aus dem Urlaub, der Reha oder Dankeskarten erhalte, ist nichts ungewöhnliches mehr und ich freue mich immer tierisch darüber.
Dieser Umschlag konnte aber nichts in der Richtung sein, da der Absender von meiner Miss America stammte und sie war noch mitten in der Therapie.
Die Perücke war schon ausgesucht und von der Krankenkasse genehmigt worden.
Da der Haarausfall aber noch nicht eingesetzt hatte, stand ich sozusagen auf Stand by und wartete nur auf den Anruf.
Als er das Atelier verließ,öffnete ich neugierig das Couvert.
Die Kurzversion war :

“ Einladung zu meiner ganz besonderen Party –                                                    “ Fuck the Chemo – witness my journey! „
Dresscode : in Perücke, so skurril und abgefahren wie möglich! 

Ich musste lachen, da ich sofort wusste worum es ging. Miss America hatte wirklich unsere Idee umgesetzt.
In unserem Erstgespräch und der darauffolgenden Anprobe, verlief alles sehr reibungslos und schnell, da Miss America Brustkrebsfälle schon in der eigenen Familie hatte und bestens aufgeklärt war und genau wusste was Sie wollte.
Der Fokus lag bei Ihr ganz klar in der Gestaltung Ihres Rasurtages.
Ich gebe den Patientinnen, wenn ich Sie kennengelernt habe natürlich einen gewissen Leitfaden mit.
Aufgrund meines Erfahrungsschatzes und der vielen Erlebnisse mit den verschiedensten Persönlichkeiten kann man schon ganz gut einschätzen, was zu den Frauen passt und was nicht.
Manchmal werde aber selbst ich überrascht, wie in diesem Fall.

Die Idee eine Party zu organisieren, stammt von einer ehemaligen Patientin, die Ihren Geburtstag einfach unter dem Motto “ Fuck the Chemo “ laufen ließ. Dresscode war damals, das alle anwesenden Gäste in Perücke erscheinen sollten. Ich habe dieses Erlebnis meiner Miss America erzählt und gesagt das ich es genauso machen würde. Jedoch die Idee ausbauen würde, indem ich mich live vor meiner Familie und Freunden rasieren lassen würde.
Zuerst schien Sie irritiert zu sein, aber als ich ihr meine Gründe erklärte, das ich diese außergewöhnliche Situation für mich zelebrieren wollen würde und keinen Trauerakt daraus machen würde, konnte Sie meine Vorgehnesweise nachvollziehen. Je normaler man mit dieser außergewöhnlichen Situation umgeht umso besser und warum sollte ich nicht alle daran teilhaben lassen und demonstrieren, das überhaupt nichts schlimmes daran ist, zumindest nicht in meinen Augen.

Die meisten Krebspatientinnen machen sich Gedanken darüber, wie ihr eigenes Umfeld wohl reagiert, wenn der besagte Tag kommt und man wirklich seiner Haarpracht beraubt wird.
Man kann sich nicht wirklich vorstellen wie man rasiert oder kahl aussehen wird.
Selbst wenn ich zu Beginn einer Anprobe einen Nylonstrumpf über die Haare stülpe , ist das Bild nicht mit der Realität zu vergleichen. Amüsant finde ich aber immer wieder wenn der Satz folgt :
“ So sehe ich also aus, wenn ich keine Haare mehr habe.“

In meinem privaten Umfeld rede ich nicht gerne über meinen Job, erst recht nicht wenn ich neue Leute kennenlerne.
Man kann meinen Job sowieso nicht in zwei Sätzen erklären und diesen  „Oh-Effekt“ möchte ich eigentlich vermeiden und dieser folgt zwangsläufig.
Es herrscht grundsätzlich immer Stille im Raum, wenn ich einmal anfange zu erzählen. Fragen über Fragen sind dann die Folge und obwohl die Aufklärung und das Aufräumen mit Vorurteilen mein Ziel sind, muss ich das nicht 24/7 haben und genieße wenn ich einfach mal nicht darüber reden muss.

Eine Party wäre also genau das richtige, um alle die mir wichtig sind mit einzubeziehen und es mit einem Event vor der Chemotherapie oder mit Beginn des Haarverlustes nochmal richtig krachen zu lassen.

Miss America hatte genau diese Intention und nicht nur das Sie mich zu Ihrer Party einlud, nein Sie bat mich sogar Ihr live ,vor allen Anwesenden die Haare abzurasieren.
Das musste sie mich nicht zwei Mal fragen, also rief ich Sie direkt an,sagte zu und bat Sie nur vorab den Ablauf festzulegen.
Zum Glück setzte Miss Americas Haarausfall auch erst 2 Tage vor der Party ein, so dass sie alles noch gut kaschieren konnte, das war definitiv meine größte Sorge. Nicht auszudenken, wenn dieser früher eingesetzt hätte, der Höhepunkt der Party wäre somit futsch gewesen und die Enttäuschung hätte meine Patientin mehr zugesetzt als der Haarausfall an sich.

Pünktlich erschien ich zwei Tage später zur verabredeten Location. Ich war erstaunt wie sehr sich Miss Americas beste Freundin ins Zeug gelegt hatte. Von pinken Mufffins und pinker Bowle, bis hin zu den coolsten Snacks und Häppchen, die alle etwas mit der Thematik zu tun hatten. Das Buffet war grandios.
“ Hey, da bist du ja.“ Ausgelassen begrüßte mich Miss America. “ Ich bin schon leicht beschwipst vom Hin und Her probieren, der leckeren Drinks und Cocktails, aber sag’s niemanden “ kicherte sich mich an.
Es war schön Sie in dieser Verfassung vorzufinden.
“ Komm mit, da vorne ist die Umkleide.“
Wir zogen uns zurück und ich begann mit Ihrem Make up. Gerade wenn man rasiert wird und viel wichtiger noch, wenn die kahle Phase kommt, ist das Make-up das A und O.
Konturenlos und fad aussehen, muss keine Patientin, dafür bietet der Markt genügend Möglichkeiten,wenn man sich nicht pigmentieren lassen möchte.

„Hier, ich habe noch ein kleines Geschenk für Dich“ Ich überreichte Ihr mein kleines Päckchen nachdem ich den letzten Pinselstrich getätigt hatte.
“ Ha,ha. Wie genial ist das denn.                                                                                        – Miss Americas Head Shaving Compilation -“ sie grinste über beide Ohren.
Wer mich kennt weiß, das kaum etwas ohne Musik geht. Momente und wichtige Ereignisse können nur anhand von Fotos, Lyrics und Melodien festgehalten werden.
Also war diese Compilation, natürlich ein Muss. Auch wenn die Zusammensetzung sich schwieriger gestaltete als erwartet, da ich Miss America eher zum Lachen bringen wollte,als zum Nachdenken oder sogar zum Weinen, aber oftmals befreit gerade das und somit war es ein gesunder Mix aus Allem.

„Ready?! Kann es losgehen?“ fragte sie mich.
Ich setzte meine Perücke auf, die natürlich knallpink war und folgte Ihr.
Was ich dann vorfand, war einfach unbeschreiblich. Es waren an die 65 geladene Gäste, Frauen sowie Männer und alle trugen die lustigsten und buntesten Perücken, die ich jemals auf einen Haufen gesehen habe. Ich war so gerührt von dieser unnachahmlichen, richtigen Art von Anteilnahme das ich mir erstmal einen „Cancer Daiquiri“ genehmigen musste.
Sie stellte mich der Reihe nach allen vor und die lockere Atmosphäre wurde weder beeinträchtigt von der Eröffnung des Buffets, noch vom nahtlosen Übergang in den Tanzmodus.
Zum Glück war die Klimaamnlage an, denn in Perücke zu tanzen lässt einen noch mehr ins Schwitzen kommen als ohnehin schon.
Irgendwann gab mir Miss America ein Zeichen, das jetzt der passende Moment gekommen sei und vor allem das Sie bereit sei.
Ich gab dem DJ mein Tape und bat ihn drei Tracks der Reihe nach abzuspielen.
Bewaffnet mit meinem Equipment schob ich den Stuhl, der aussah wie ein Thron in die Mitte der
Tanzfläche. Bei nur 65 Personen, die sich kennen geht das problemlos, da der eine auf den anderen achtet. Im Club undenkbar 😉

Miss America wurde vom DJ angekündigt und die Gäste umkreisten uns.
Sie nahm Platz und als “ Survivor“ von Destiniys Child einsetzte und ich meine Schere zückte, war auch der letzten Person im Raum klar, was hier geschehen sollte.
Ich hatte zwar extra den Remix gewählt, damit ich mehr Zeit hatte, aber der DJ musste den Track zweimal abspielen, bis wir durch waren.
Alle sangen mit, es wurde gepfiffen und geklatscht. Ich war noch nie einem solchen Blitzlichtgewitter ausgesetzt, wie in diesen 10 Minuten. Miss America zappelte vor Lachen hin und her und es war einfach schön mitzuerleben wie befreit sie war, das dieses Kapitel nun endlich hinter Ihr lag und vor allem, das Sie sich mit einem “ Knall “ von Ihren Haaren verabschiedet hatte.
Die Könung kam als der DJ meinen Track Nummer 2 abspielte.
Tim Toupets “ Du hast die Haare schön „. Die Leute konnten vor Lachen nicht mehr an sich halten, es herrschte eine unglaublich ausgelassene Stimmung.
Selbst Miss America hatte Tränen in den Augen vor Lachen.
Meine Après-Ski Erfahrung hatten sich also gelohnt.

Ihr Partner stand die ganze Zeit zwar in Ihrer Nähe, jedoch hielt er Abstand. Nicht ohne Grund, denn selbst das hatten wir geplant.
Er wartete bis zu dem Moment, wo auch wirklich der letzte Gast Sie geknuddelt und gedrückt, gratuliert und Aufnahmen gemacht hatte.
Ich gab dem DJ ein letztes Zeichen und Mister America forderte seine gerade frisch rasierte Miss America zum Tanz auf.
Cher Lloyds “ Beautiful People “ und die Tatsache das Mister A. während er eng umschlungen mit seiner Frau tanzte und ihr immer wieder über den frisch rasierten Kopf streichelte, ließ dann auch
wirklich niemanden mehr kalt.

„Du verkappte Romatikerin ! “ umarmte mich Miss America als der Track vorbei war und sie sich langsam wieder gefasst hatte. “ Besser, hätte man das nicht planen können. Danke für Alles! “

Mission completed.
Sie schien glücklich und das ist für mich die beste und wichtigste Art der Bestätigung.
Wir feierten noch bis in die frühen Morgenstunden, gemeinsam und ausgelassen.

Der Rasurtag sollte niemals ein Trauerakt werden, gestaltet ihn so, das er Euch in positiver Erinnerung bleibt. Die Tatsache an sich, ist schon traurig genug, aber selbst in der Not findet man etwas positives wenn man nur will. Solltet Ihr keine Kraft dazu haben, scheut Euch nicht zu fragen, es gibt Sie, die Leute links und rechts, die bereit sind den schweren Weg mit euch zu gehen und die die Kraft besitzen Euch,wenn es sein muss auch da durch zu tragen.

Herzlichst Eure Simona

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Mister Fels in der Brandung

Das Telefon klingelte und eine Männerstimme meldet sich.

„Ich würde gerne einen Termin für meine Freundin, also Partnerin ausmachen “ Er klang sehr nervös….
O.k , dachte ich mir, warum kontaktiert er mich und nicht Sie selber ?!
„Worum geht es denn ?“ fragte ich nach.
„Meine Freundin hat Darmkrebs und wird sich demnächst einer Chemotherapie stellen müssen. Ihr wurde geraten sich den kosmetischen Folgen, die aufgrund der Chemotherapie verursacht werden, so früh wie möglich zu stellen. Sie wurden uns von der Klinik empfohlen.
Ich fand die Aussage toll. “ …. Chemotherapie stellen müssen ….“ Ein Kämpfer !
Ich wusste sofort, wer der starke Part in dieser Konstellation war.

Es ist wie mit jedem “ ersten Mal “ im Leben. Man macht sich Gedanken, warum wieso weshalb und vor allem wie die Situation ablaufen wird. Es kommt sowieso anders als man denkt, dennoch blicke ich gerade in Bezug auf meinen Job, gerne auf meine “ ersten Male “ zurück.
Ich hatte die Situation bis dato noch nie, das sich die Patientin nicht selber , sondern Ihr Partner um einen Termin bemühte.
Ich dachte mir, wenn er sich dieser Herausforderung stellt, werde ich das auch.

Wenn ich die Frauen zu Beginn schon am Telefon habe, kann ich anhand Ihrer Stimme immer schon einschätzen in was für einer Verfassung Sie sich befindet und vor allem innerhalb des Gespräches herausfinden, wie gut Sie aufgeklärt ist.
Diese Möglichkeit wurde mir in diesem Fall genommen.

Als ich nach genauer Diagnose, Prognose, Therapieverlauf und Medikation nachfragte,
wunderte er sich.
„Warum wollen Sie das alles wissen ?“
„In erster Linie um zu erfahren, ob eine Perücke, Permanent Make- up und alles weitere überhaupt notwendig ist und um Ihrer Freundin ein genaues Zeitfenster zu geben, wann genau der Verlust und andere Nebenwirkungen einsetzen werden. “
Er schien überfordert.
„Ok, ich werde alles herausfinden und Sie dann nochmal kontaktieren.“

Obwohl ich mich in dieser Aussage wieder fand, denn genauso würde ich reagieren, hatte ich nicht das Gefühl noch einmal etwas von Ihm zu hören.
Über eine dritte Person werden Worte und Schwingungen immer anders wiedergegeben oder weiter geleitet.Man hat immer nur eine Chance für den ersten Eindruck und das gilt für beide Seiten.
„Oops“, dachte ich mir. Entweder war er verschreckt oder eingeschüchtert.

Als ich auflegte, startete mein Kopfkino – meine größte Schwäche.
Ich wollte lediglich Informationen einholen, die für mich wichtig waren. Natürlich kann man nicht erwarten, das wenn ein Mensch das erste mal mit Krebs in Berührung kommt, alles sofort versteht.
Für mich ist das Alltag und Normalität und da ich kein “ Rein-Raus Perückenfachgeschäft “ bin, sondern eine Rundumbetreuung agiere ich selbstverständlich anders, als man es erwartet.
Ich benötige eben mehr Informationen, als nur die Tatsache das der Haarausfall durch eine Chemo-
oder Strahlentherapie erfolgen wird.

Doch einigen Stunden später, als das Telefon klingelte und er sich erneut vorstellte, war ich erleichtert, das ich doch nicht zu tough rübergekommen war.
Stattdessen entschuldigte er sich, nicht gut vorbereitet gewesen zu sein.
Das war der erste Moment, in dem ich dachte “ Wow ,was für ein Kerl. “

Wir klärten alle Randdaten und nachdem seine erste Unsicherheit verflogen war, gewährte er mir einen Einblick in die derzeit schwierige Situation. “ Wir stehen das durch, versprochen! Sie müssen ihrer Partnerin einfach Zeit geben. “
Wir vereinbarten einen gemeinsamen Termin und er schien sichtlich erleichtert, nicht mehr ganz allein auf sich gestellt zu sein.
Es ist auch für mich ein beruhigendes Gefühl, wenn ich weiß, das die Patientin nicht allein ist und
wie in diesem Fall, einen Partner zur Seite hat, der mit Ihr gemeinsam den schweren Weg gehen wird.

Das Erstgespräch gehört rückblickend zu den romantischsten und konsequentesten, das ich je geführt habe.Als beide eintrafen dachte ich nur : “ Wow, Love is in the Air . “ Nicht nur das beide optisch matchten wie die Faust aufs Auge, man konnte die Verbundenheit der beiden wirklich spüren.
Barbie und Ken. Wie sollte ich die beiden auch anders taufen.
Er hielt ihr die Tür auf, folgte ihr und half ihr aus der Jacke. Ich konnte meiner Dienstleistertätigkeit gar nicht nachkommen, da er einfach überall war und solch eine Präsenz ausstrahlte, das selbst ich nicht wagte, dazwischen zu funken.

Als wir Platz nahmen, dachte ich insgeheim : “ Das wird eine schwere Geburt „

Barbies Blick war einfach nicht zu greifen. Sie schaute ununterbrochen nach unten und wich meinem Blickkontakt förmlich aus. Auch Ihre Stimme war zittrig und sehr, sehr leise. Man konnte spüren, wie unangenehm Ihr die ganze Sache war. Sie hielt Kens Hand ganz fest.
Also übernahm er das Ruder.
“ Sie ist sonst nicht so. “ fing er vorsichtig an.
“ Wir haben eine gemeinsame Firma. Normalerweise steht Sie vor 50 Mitarbeitern und schwingt das Zepter. Sie ist diejenige mit den Zügeln in der Hand und fordert alle um sich herum, natürlich immer vorne weg. Sie verlangt sich dasselbe ab.“  Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, da der erste Eindruck, trotz ihrer reservierten
Haltung, mich nicht getäuscht hatte. Eine “ Macherin „.
Also habe ich nachgefragt, was genau Miss Barbie machen würde.
Es war , als wenn die Ampel auf grün gesprungen wäre.
Miss Barbie übernahm von da an und war absolut in Ihrem Element.
Ken strich ihr immer wieder über ihren Handrücken und man merkte das Sie von Minute zu Minute ruhiger wurde.
„…. Und jetzt stellen Sie sich vor, ich stehe abgemagert, ohne Haare und absolut gezeichnet vor meinen Mitarbeitern. Wer soll mich denn noch ernst nehmen?! Und das letzte was ich haben möchte, ist Mitleid. Ich wollte nie Kinder und jetzt wird mir wahrscheinlich die Wahl dafür oder dagegen einfach genommen. Was ist, wenn die Chemotherapie nicht anschlägt und ich einen künstlichen Darm oder Ausgang erhalte. Welch eine Zumutung für meinen Partner und meine Umwelt. Ich bin ohne meine Arbeit gar nichts und ohne meinen Freund auch nicht, was soll er dann noch bei mir !? “

In jeder guten Klinik gibt es Psychoonkologen für solche Fälle. Die Patientinnen nehmen die Gesprächsoption aber so gut wie nie in Anspruch. In einigen Fällen kann ich sogar verstehen warum.
Ich komme gar nicht drum herum mich mit den Patientinnen über tiefer liegende Themen und Ängste zu unterhalten und diese bestmöglich zu analysieren, da ich einfach so nah dran bin.
Und selbst ich bekomme eine Krise, wenn ich höre, das Psychologen ein Gespräch mit der Frage beginnen : “ Sind Sie wütend, das es Sie erwischt hat ? Das ist eine ganz normale Reaktion, aber das wird vergehen. “
Ganz ehrlich, wo lernt man so etwas !? Das man für so wenig Sensibilität und Weitsicht wirklich studieren muss, ist für mich absolut nicht greifbar.
Nein, die Patientin ist nicht wütend. Eigentlich hat Sie sich die Krankheit doch gewünscht, förmlich darauf gewartet. Zum Haare raufen solche Fragen !
Ich bekomme oft zu hören, wenn die Patientin mit allem erfolgreich  durch ist, das ich ihnen den Therapeuten erspart hätte.
Kein Wunder,  wenn solche Amateure am Werk sind.
Zum Glück habe ich in meinem Netzwerk nur fähige Leute, so dass ich zu 100 Prozent sicher sein kann, das meine Patientin dort wirklich in guten Hände ist.

Ich war sichtlich geschockt zu hören, über was sich Miss Barbie sorgte.
Ihrem Partner liefen die Tränen, nach der letzten Aussage.
Komischerweise kann ich damit umgehen, wenn Frauen weinen. Aber wenn Kinder und Männer weinen, dann wird mir ganz anders.
Kinder möchte ich sofort in den Arm nehmen und bei Männern weiß ich nicht wirklich wohin mit mir.

“ Wen interessiert ob du Haare hast ? Ich liebe dich, mit oder ohne Haare. Ob du ein paar Kilo mehr oder weniger hast, wen juckts ? Du bist und bleibst mein Mädchen. Warum machst du dir jetzt schon Gedanken um einen eventuellen Ausgang. Wir müssen erstmal abwarten, was mit der Chemotherapie ist. Und sollte es so sein, na und, dann übe ich mich im Katheter auswechseln, ich würde dir sogar die Windeln wechseln wenn es sein muss. Warum machst du dir Gedanken was andere denken und sagen könnten, es ist nur wichtig was wir beide denken und fühlen “

Tja, da war dann selbst bei mir Schluss. Ich dachte mir nur, diese Frau hat Alles. Einen super Job, Geld und einen Mordskerl …..und ist so ungerecht, todkrank. Eine heftigere Liebeserklärung konnte es gar nicht geben.
Barbie nahm Ken in die Arme und sie ließen beide ihren Gefühlen freien Lauf.
Ich zog mich zurück.
Man sollte immer wissen, wann man zu gehen hat. 😉

Nach ein paar Minuten gesellte ich mich wieder dazu. Mittlerweile saßen beide ganz nah beieinander und wirkten wie Susie und Strolch. Der Knoten schien geplatzt zu sein.

“ Darf ich Sie etwas fragen ? “ begann ich. “ Haben Sie bisher über Ihre Ängste nicht geredet, vor allem miteinander geredet ? “
„Nein, ich habe es nicht zugelassen .“ Miss Barbie schilderte das es Ken auf jede erdenkliche Art und Weise versucht hatte, sie aber nicht bereit dazu gewesen sei. Das Schamgefühl sei zu groß.

Der Gewichtsverlust durch den Stress hätte Sie mitgenommen und die Tatsache, das es durch die Chemotherapie und den angegriffenen Darm noch mehr werden könnte, würde Ihr mehr als Kummer bereiten. Sie würde keinen knabenhaften Körper haben wollen und erst recht nicht mitansehen wollen, wie der ausgemergelte Körper vor Ihren eigenen Augen dahin schwindet. Als Teenager hätte sie hautnah miterlebt, was der Darmkrebs aus Ihrer Tante gemacht hatte.
“ Ich habe in meinem Leben nie eine Zigarette geraucht, hier und da mal ein Glas Wein zum Essen getrunken, Sport getrieben ohne Ende und mich gesund ernährt. Wofür ?! “
Verzweiflung stand ihr im Gesicht. Ken reagierte sofort. Er nahm Sie in den Arm.
Die beiden vor mir sitzen zu sehen in dieser einzigartigen Harmonie ließ mich echt neidisch werden.
Ich war so froh, das Miss Barbie nicht alleine war und das Ken sich so anständig benahm. Es sollte mehr von dieser Sorte Mann geben, verdammt ! :)Nachdem wir wirklich alle Ängste analysiert und die bevorstehenden Probleme besprochen hatten, fragte mich Miss Barbie : “ Was würden Sie machen an meiner Stelle ?! “
Diese Frage wird mir oft gestellt und ich finde das ist sehr schwer zu beantworten.
Ich lebe den Krebs seit so vielen Jahren und da ich selber schon eine Biopsie hinter mir habe, weiß ich was alleine dieses Kopfkino mit einem anrichten kann.
Ich habe ihr ganz ehrlich gesagt, das wir sehr verschieden seien, und man nicht einzelne Einstellungen auf jemand anderen übertragen kann.
„Dennoch, ich möchte wissen was Sie machen würden ! “ Barbie blieb hartnäckig.

Also habe ich ihr versucht zu erklären, das ich nur einem Menschen Rechenschaft schuldig bin, meiner Tochter. Sie würde niemals eine unglückliche Mutter haben wollen, also alles akzeptieren was notwendig ist, um mir dieses Gefühl zu geben. Da ich zu denjenigen gehöre, die aufräumen wollen
mit all den Vorurteilen bezüglich der Krebsthematik, würde ich wahrscheinlich eine Kombination wagen. Das heißt, wenn mir danach ist, trage ich Perücken. Richtig, nicht nur eine – sondern so wie Sophie van der Stap ,  jeden Tag eine andere. Eine andere Frisur und eine andere Farbe. Ich würde
es immer von meiner Stimmung und Laune abhängig machen. Hätte ich keine Lust auf Perücke, würde ich mit modisch, ausgeflippten Tüchern arbeiten, alleine um Miss Chanel zu ehren 😉 – die Geschichte habe ich ihr dann auch direkt erzählt. Ich würde aber auch Kahl durch die Welt gehen. Normalerweise mag ich es nicht wenn Leute darüber urteilen, warum Betroffene so etwas machen, denn Provokation und Aufmerksamkeit sind definitiv nicht die Gründe. Ich würde es aber genau aus dem Grund machen, um zu provozieren.
Ich habe einfach eine andere Sicht der Dinge und für mich ist der Krebs Alltag. Mir wäre Wurscht was andere über mich denken und sagen. Diejenigen die mich kennen und die mir wichtig sind, würden eh nicht einen Ton dagegen sagen, da Sie mich immer und egal in welcher Situation unterstützen würden.
Miss Barbie und Ken schauten sich an und nickten gleichzeitig. Mit einem Kuss wurde dies besiegelt.
“ So machen wir es !“
Ich stutze “ Wie, so ?! “
Miss Barbie grinste “ Wir nehmen Ihre Kombi ! “
Ich konnte meinen Ohren nicht trauen.

Auf einmal konnte es Ihr gar nicht schnell genug gehen.
Also haben wir gar nicht lange gefackelt und ein Modell nach dem anderen probiert.
Ken verabschiedete sich kurz, und fragte nach dem nächsten Supermarkt bzw. Büdchen. Ich erklärte Ihm den Weg und war verwundert was er gerade jetzt dringendes besorgen müsse,was nicht bis nach der Anprobe hätte warten können.
20 min später erschien er mit 2 Flaschen Champagner und einer Wundertüte. Wir konnten nicht mehr vor Lachen. Er schien so happy, das seine Freundin nun endlich losgelassen und sich Luft gemacht hatte, das er seine ganze zugeknöpfte Etikette draußen ließ.
4 Modelle gefielen beiden auf Anhieb.
„Meinst du ich soll jetzt schon rasieren Schatz ?‘ “ fragte Miss Barbie ihren Ken.
Ich kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus.
„Klar, ich fände es heiß. Wenn du es machst, lasse ich mich auch rasieren! “
Ich hatte gerade an meinem Champagnerglas genippt und dachte mir nur , was soll’s, wenn sich jetzt wirklich beide rasieren lassen wollen, dann kann ich mir auch das halbe Glas genehmigen.

Und genauso kam es.
“ Ladies First! “ 😉

Die traurige Stimmung die zu Beginn nicht wegzudenken war, war wie von einem Tornado aufgesaugt und weggewirbelt worden.
Also rasierte ich erst Barbie auf 2mm runter und dann Ken.
Dieses Bild wäre sofort aufgekauft worden, von allen Magazinen dieser Welt.
Barbie küsste Kens Kopf, Ken küsste Barbies Kopf. Ich war wie Luft für die beiden. Ich genoss es, teilzuhaben an dem Feedback das dieser Mister Fels in der Brandung seinem Mädchen gab.
Er zog eine Kugel aus der Wundertüte und kniete sich hin.

“ Schatz, ich weiß das ist bestimmt der allerletzte Ort an dem ich dich fragen sollte. Aber hier und heute ist was besonderes passiert und das du mir deine Angst gestanden hast, hat uns wieder ein Stück weiter gebracht und vor allem uns noch näher gebracht. Ich habe das Gefühl die letzten 8 Jahre geschlafen zu haben. Wir sind erfolgsverwöhnt und waren immer der Meinung wir bräuchten nichts besiegeln zu lassen. Aber ich möchte dir beweisen das du dir meiner sicher sein kannst in guten und erst recht in schlechten Tagen. Willst du mich heiraten und dich gemeinsam mit mir allem stellen was noch kommen mag ? „

Diesen Moment hätte ich so gerne gefilmt. Da blieb keines der 3 Augenpaare trocken.
Ich zog mich ein weiteres Mal zurück. 😉
Was für ein Kerl!
In dem Moment dachte ich nur, verdammt was mache ich falsch. Wo bleibt mein Märchenprinz mit seinem scheiß Gaul.
Hat er ihr gerade wirklich vor meinen Augen einen Antrag gemacht ????
In der heftigsten Phase ihres Lebens ???
Wenn das keine Motivation ist, den Kampf gegen den Krebs anzunehmen !
Der Ring war definitiv, „Wahnsinn“.Ein roter Plastikring, mit einem Herz verziert und Blinkfunktion. 😉
Den, sowie Mister Fels in der Brandung hätte ich an Barbies Stelle auch nie wieder hergegeben.

Miss Barbie hat wirklich die Kombination durchgezogen. Mal in Perücke, und sie hatte 4 an der Zahl, Mal mit Tüchern und oft genug auch kahl. Immer Top gestylt und Top geschminkt.
Eine Macherin bleibt eben eine Macherin, selbst wenn Sie für einen kurzen Moment einknickt und das ist mehr als legitim.
Manchmal braucht man nur einen kleinen Schubser und dafür bin ich definitiv bekannt.
Ich gebe niemals eine Patientin auf, erst recht nicht, wenn Sie selber sagt das alles aussichtslos sei.
Das ist es nie, niemals.
Da ich definitiv weiß, das dieses Erlebnis kein Märchen ist und Barbie und Ken wirklich geheiratet haben und es “ beiden “ gut geht und sie glücklich sind, möchte ich dennoch dieses Krebsmärchen abschließen, mit den Worten …
„Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann LIEBEN sie sich noch heute.“

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Miss P. und zwei gebrochene Herzen

Aber Miss P. hat es mehr als verdient,das man Ihre Geschichte erzählt, auch wenn es eins von den traurigsten Erlebnissen ist, die ich je erlebt habe.

Noch heute suche ich Sie auf der Straße und halte Ausschau nach Ihr, obwohl ich ganz genau weiß, das Sie nicht mehr unter uns weilt.
In jeder traurigen Geschichte findet man dennoch etwas schönes und ich bin froh, das sich unsere Wege gekreuzt haben, denn auch Sie hat mich geprägt und lässt mich dankbar sein für das was ich habe. Gesundheit und meine Tochter !
Der Herbst hatte gerade begonnen und es regnete lauter bunte Blätter. Ich liebe diese Jahreszeit, vor allem wenn der Himmel blau ist, die Sonne scheint , es aber trotzdem schon so kalt ist, das man sich einmümmeln muss.
Es war ein ruhiger Arbeitstag, ich war mehr als froh als das Telefon klingelte. Eine Engländerin meldete sich und fragte im gebrochenem Deutsch nach, ob ich kurzfristig noch einen Termin frei hätte, da Sie aufgrund einer Chemotherapie eine Perücke benötigen würde.
Ich antwortete Ihr auf Englisch und Sie war heilfroh, was man anhand Ihrer Stimme sofort hören konnte, denn sie klang viel wärmer und herzlicher. Wir verabredeten uns für 30 Minuten später.
Als es klingelte und ich die Tür öffnete, habe ich mich sofort in meine Kindheit zurückversetzt gefühlt.
Da stand Sie, leibhaftig “ Mary Poppins „ .
Sie sah Julie Andrews so ähnlich, das ich mich wirklich zusammen reißen musste, sie nicht anzustarren. Ihre dicken Boots, die gestreiften Overkneesstrümpfe und ihr Mantel unterstrichen dieses Bild nur, es fehlten lediglich Hut und Schirm.
Wir nahmen Platz und ich bot Ihr einen Tee an.
„Very british, i like that“ kam von Ihr mit einem Augenzwinkern.
Wir lagen altersmässig nicht weit entfernt, ich scheute mich dennoch Sie zu fragen.
Wir waren aber sofort auf einer Wellenlänge, sie kam mir so vertraut vor und das beruhte auf Gegenseitigkeit, denn Sie sprach es in dem Moment aus, als ich es dachte.
Anders als sonst bei einer Krebspatientin, schlug Sie vor, mir erst Ihre Geschichte zu erzählen.
Das war neu für mich, da ich gewohnt war eher verschlossenen Frauen gegenüber zu sitzen, aber wie gesagt, wir waren uns einfach vertraut.
Ich nahm Ihren Vorschlag dankbar an.
„Das ist schon das zweite Mal, das es mich trifft und diesmal werde ich sterben“ 
 
Ganz ehrlich, nach diesem Satz hätte ich am liebsten das Gespräch beendet.
Wie ein Faustschlag ins Gesicht hat es mich getroffen. Nie habe ich mich so hilflos gefühlt. Es war das erste Mal das ich so einer Situation ausgesetzt war. Wie redet oder behandelt man einen
Menschen, der ganz genau weiß, das er sterben wird. Aber es kam noch schlimmer.
„Ich habe eine Tochter, sie ist 6 Jahre alt. “ 
Ich habe mir Scottie herbei gesehnt, der mich weg beamt, auf der Stelle.Mein Bauchgefühl setzte aber sofort ein und ich wusste was zu tun war. Ich stand auf, schaltete den Anrufbeantworter ein, dimmte das Licht und sagte: “ Kein Druck, kein Zeitlimit, ich höre Dir zu. “
„Das kann aber etwas dauern….“ „Shoot!“ unterbrach ich Sie.
Dankbarkeit habe ich nie wieder in der Art in irgendwelchen Augen wiedergefunden und ich kenne niemanden, außer meinem besten Freund der in Bildern erzählen kann. Mary tat genau das. Es war als wenn ich mit Ihr vor Ort gewesen wäre.

Nach Ihrem Abitur ging Mary nach London um dort zu studieren. Sie kam nicht aus wohlhabenden
Verhältnissen, aber Ihre Familie machte sich krum , um Ihr diese Möglichkeit zu geben und Sie zu unterstützen. Sie dankte es mit tollen Noten und einem super Abschluss, der Ihr sofort ein
tolles Jobangebot in einer der besten Werbeagenturen Londons brachte.
Natürlich nahm Sie dankend an und kletterte die Karriereleiter im Eiltempo nach oben.
Wie sollte es anders sein, traf Amor Sie aus dem Nichts und Sie verliebte sich Hals über Kopf in Ihren Kollegen.
Da es zwischen den beiden perfekt lief , sie beruflich und privat harmonierten, dauerte es nicht lange und Sie mieteten sich ein Haus. Kurz darauf folgte der Heiratsantrag und binnen drei Monaten waren die beiden verheiratet und lebten gemeinsam Ihren Traum.
Mary wurde schwanger und Ihr Mann freute sich riesig. Doch nach der Entbindung plagten seine
Frau Schmerzen in Ihrer Brust. Die Ärzte schoben es auf die Stillphase. Als die Schmerzen jedoch immer schlimmer wurden, riss Mister Poppins der Geduldsfaden und er bestand darauf , das man seine Frau auf den Kopf stellen solle.


Diagnose :Brustkrebs 
Sie hielt inne, als wenn Sie diesen Moment noch einmal erleben würde.
„Von da an,“ fuhr Sie fort, „war nichts mehr so wie es mal war.“
„Ich durfte nicht mehr stillen, ich konnte mich nicht mehr zu 100 Prozent um mein Baby kümmern.“ Und zum Entsetzten Aller, rieten Ihr die Ärzte dazu, sich beide Brüste amputieren zu lassen.Ich rang eh schon nach Luft und kämpfte mit den Tränen, aber was ich dann sehen musste grenzte an
Körperverletzung.
Sie zog Ihren Pullover hoch und stellte sich vor mich.
„Das haben die Ärzte dort mit mir angestellt.“
Die Tatsache, das sich eine völlig fremde Frau vor mich stellte und entblößte, war für mich gar nicht greifbar, da ich so unter Schock stand, als ich auf diesen geschundenen Oberkörper blickte. Mir schossen sofort die Tränen in die Augen. Jeder andere wäre wahrscheinlich im Boden versunken vor
Scham, aber ich konnte Ihren Schmerz so sehr fühlen, das ich mir gar keinen Kopf darüber machte das Sie gerade halbnackt vor mir stand. Ich sah nur “ zwei – krasse – rote – vernarbte Kreuze “ und fühlte Schmerz, Marys‘ Schmerz.
„Welcher Stümper war da am Werk ??? “ zu mehr war ich nicht fähig. Ich war nicht in der Lage, weder die richtigen Worte zu finden noch überhaupt etwas zu sagen. Meine Kehle war staubtrocken und mein Tränenkanal überfüllt. Sie weinte mit mir …
“ Und jetzt sag mir, bin ich noch eine Frau ? 

Unzählige Bilder schossen mir durch den Kopf. Es war nicht das erste Mal, das mir eine Patientin ihre Narbe gezeigt hatte, aber wenn dann nur so halb angedeutet in dem Sie Ihren BH leicht freilegte. Deshalb konnte ich mir überhaupt ein Urteil erlauben. Aber ich hatte noch nie eine beidseitige Amputation gesehen und erst recht nicht in dieser, nicht in Worte zu fassenden Art und Weise.

Mary fasste sich schnell wieder, setzte sich hin und sagte lässig : “ Weiter im Text “
Unsere Taschentuchbox die auf dem Tisch lag, versank unter den ganzen benutzen.
Ich dachte in diesem Moment nur daran, wie sehr ich die Stillzeit genossen hatte und dennoch mit meinem Busen haderte, obwohl ich keinen Grund dazu hatte.Ich schwor mir in diesem Moment, nie
wieder auch nur ein Wort darüber zu verlieren.
Während der ganzen Therapiephase, die trotz Amputation eine Chemotherapie verlangte, war Ihr Mann an Ihrer Seite und wie man sich das von einem Partner wünscht, der Fels in der Brandung.
Rückblickend war das, trotz all des Kummers eine gute Zeit, so lautete Marys‘ Fazit.

Normalität kehrte wieder in das Haus der Poppins und man versuchte Pläne zu schmieden. Der Krebs und all das Erlebte sollte nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Die Kombination zwischen Heim und Job funktionierte gut, da man eine hervorragende Nanny gefunden hatte. Mary war wieder rund um glücklich, ganze 4 Jahre lang.

Bis zu diesem Sommer.
Es war kein ganz normaler Routinecheck. Für Krebspatienten sind die ersten paar Jahre jede Untersuchung mit einer Achterbahnfahrt gleichzusetzen. Aber man hofft immer das Beste. Dieser Check hatte aber zur Folge, das Mary eine Woche später zur Sprechstunde Ihres Docs zitiert wurde.
„Er ist zurück! Und diesmal hat er gestreut ! “
„Wer,er ?!“ fragte Mary.
„Der Krebs ! “
Sie hatte das Gefühl der Doc würde flüstern, so viel Chaos hatte Sie in Ihrem Kopf. Er redete und redete, schlug Behandlungen vor, aber alles was sie hörte oder registrierte war eine ganz leise Stimme.
„Der Krebs“
„Er hat akut gestreut und schnell ist er. Organe sind betroffen, die uns nicht viel Spielraum lassen, Sie müssen Dinge klären. Soll ich Ihren Mann anrufen ?! “

Mir war übel und kalt. Sie schilderte mir bis ins kleinste Detail Ihr Todesurteil und ich konnte einfach nichts sagen. Ich dachte an Ihre kleine Tochter, an Ihren Mann und an Mary, die einfach keine Wahl mehr haben würde.

Sie verließ die Praxis allein, obwohl der Doc darauf bestand jemanden zu kontaktieren, der Sie abholen würde.
„Ich werde mir schon nichts antun Doc, ich habe doch eh nicht mehr lange zu leben. Ausserdem muss ich meiner Tochter noch sagen wie schön das Leben ist “

Das war zu viel für mich !

Aber es kam noch schlimmer.
Sie saß alleine im Park und rief Ihren Mann an. Als Sie ihm die Diagnose  und gleichzeitig die Prognose mitteilte, reagierte er eiskalt : “ Das stehe ich nicht noch einmal durch Mary. “
Ich war fassungslos.
Wie konnte er Ihr in diesem Moment so etwas sagen ?!
Er beendete, ohne ein weiteres Wort das Gespräch und Mary erinnerte sich nicht mehr wirklich daran, wie Sie nach Hause gekommen ist.
Als Sie Zuhause eintraf, stand der Wagen Ihres Mannes nicht in der Garage, also ging Sie davon aus, das er noch im Büro sein würde. Sie fand ihre Nanny vor, Ihre Tochter und einen Zettel auf dem Küchentisch.
“ I’m done ! “
Sie holte den Zettel aus Ihrer Tasche und präsentierte mir diesen.
“ WOW “ mehr brachte ich nicht zustande.

Von da an beschrieb sie mir einen Rosenkrieg, der schlimmer nicht hätte sein können.
Sie sprang von einem Thema zum anderen und man konnte spüren wie wütend Sie war. Zu Recht !
Sie wurde fristlos gekündigt, nachdem Sie Ihren Arbeitgeber informiert hatte, das der Krebs wieder gekommen sei und obwohl Sie keine Kraft zu verschwenden hatte, zog Sie vor Gericht.
Das Verfahren sei im vollen Gange, so berichtete Sie mir. Die Anwälte würden Ihr den Rücken freihalten.
Ein paar Tage später ,als Sie vom Spielplatz mit Ihrer Tochter nach Hause kam, stand sie vor verschlossenen Türen. Ihr Mann hatte einfach die Schlösser ausgetauscht. Ich dachte nur, Mary wäre nicht Mary wenn Sie sich nicht zu helfen gewusst hätte, so als wenn ich Sie schon 10 Jahre kennen würde oder mit der Hauptdarstellerin eines Films mitfiebern würde.
Sie schlug ein Fenster ein und stieg mitsamt Ihrer Tochter durch das Fenster, in Ihr eigenes Haus.
Das muss man sich mal vorstellen !
Ihr Mann hatte alles mitgenommen was nötig war. Sie ließ den Schlüsseldienst kommen und tauschte abermals die Schlösser aus.
Am nächsten Tag als Sie zur Bank ging, konnte Sie kein Geld abheben, da Ihr Mann das gemeinsame Konto geräumt und einfrieren lassen hatte.
Also beschloss Sie wieder nach Hause zu fahren und Ihre Eltern einzuweihen, die bis dato keinen
blassen Schimmer hatten.
Als Sie Zuhause eintraf , konnte Sie Ihren eigenen Augen nicht trauen. Die Fenster waren mit Holzbrettern vernagelt und das Schloss erneut ausgetauscht. Diesmal hatte Sie keine Chance in Ihr eigenes Haus zu gelangen.
Da Sie sich vor Ihrer Tochter zusammen reißen musste, tat Sie so, als hätte Sie sich im Haus geirrt und steuert auf direktem Wege zum Haus Ihrer besten Freundin. Mary vertraute sich Ihr an und leitete
alles umgehend in die Wege, was zu Regeln war.
Unter anderem eben die Rückkehr nach Deutschland.
Die Eltern versuchten zwischen Mary und Mister Poppins zu vermitteln, aber dieser war so kalt und hartherzig und besaß wirklich noch die Frechheit Mary vorzuwerfen, das Sie sein Leben für immer zerstört hätte.

„So, und nun zu meinem Anliegen.“ einfach so, beendete Sie ihre Geschichte.
„Ich möchte die längste und schönste Perücke die du hast. Ich habe zwar noch meine alte, aber die ist hinüber und hässlich, deswegen bin ich fast immer kahl rumgelaufen. Aber jetzt möchte ich aussehen wie Rapunzel, nur in sexy und braunhaarig ! “ und da war es wieder, Ihr Augenzwinkern.

Normalerweise rate ich Frauen immer davon ab, langhaarige Perücken zu nehmen, vor allem im Kunsthaarbereich, aber in diesem Fall war es etwas anderes und ich verstand sofort worum es Mary ging.
Ihr wurde Ihre Weiblichkeit genommen auf die bitterste Art und Weise. Sie wurde entstellt von einem Stümper, der sich wirklich glücklich schätzen kann, das Sie Ihn nicht verklagt hat. Sie wurde gedemütigt und verlassen, von Ihrem eigenen Mann.
Ich willigte sofort ein und versprach Ihr im Eiltempo eine Auswahl vorzubereiten.
„Prima, ich freu mich darauf. Mach aus mir einen sexy Vamp ! “
Ich konnte mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Wo holt diese Frau nur Ihre Energie und Ihren Humor her ?!
„So, nun habe ich genug deiner Zeit und Tränen gestohlen, ruf mich an “
Als Sie mich zur Verabschiedung in den Arm nahm, wollte ich Sie gar nicht mehr los lassen und ich
dachte mir nur, von dieser Frau kann ich noch etwas lernen und mir eine Scheibe abschneiden.

Als ich die Tür verriegelte, konnte ich nicht mehr an mich halten und lies meinen Tränen und meiner Wut über so viel Ungerechtigkeit freien Lauf.
Nachdem ich mich beruhigt hatte, bestellte ich ein Taxi und fuhr so schnell wie möglich Heim in die Arme meiner Tochter, die zu diesem Zeitpunkt ein Jahr jünger war als Marys Tochter.
Selbst die Nacht über schlief  ich neben meinem Kind, beobachtete sie und dankte der wachen und schützenden Hand über uns, das wir gesund waren.
Ich konnte die nächsten Tage an nichts anderes denken als an Mary. Meine Laune war mies und ich konnte mich nur schwer zusammen reißen. Vor allem dachte ich an ihre Tochter. Wo würde sie leben, wer würde sich um sie kümmern ?!
Diese Geschichte ging mir so unter die Haut, das sich mein Umfeld anfing Sorgen zu machen, ob das wirklich der richtige Job für mich sei, da ich die einzelnen Schicksale so persönlich nahm.

Als die Auswahl eintraf, kontaktierte ich Mary umgehend und zu meiner Überraschung erschien Sie mit Ihrer Tochter. Zum Fressen süß, die kleine freche Curly Sue.
Ich musste mich definitiv zusammenreißen,.

Mutter und Kind zusammen harmonieren zu sehen, wenn man weiß das Sie nicht mehr viel Zeit miteinander haben, zerreißt einem das Herz! 

Da Mary eh kein Problem damit hatte, rasierten wir Ihr umgehend gemeinsam mit Ihrer Tochter den Kopf auf 2 Millimeter und probierten eine Langhaarperücke nach der anderen aus. Sie sah wirklich aus wie ein Vamp. Mary strahlen zu sehen, war für mich Genugtuung pur. Sie wusste genau was Sie wollte und entschied sich relativ schnell. Natürlich für die längste im ganzen Sortiment und Curly
Sue war mehr als angetan, Ihre Mutter mit der wallenden Mähne zu sehen.
„Wer kümmert sich um deine Tochter ? “ platze aus mir raus. Mary schaute mich verwundert an.
„Das ist ja süß. Du sorgst dich was mit meiner kleinen passieren wird !? “
„Ja natürlich. Du kannst sie doch nicht diesem Arsch überlassen.“ Ich konnte mich absolut nicht mehr bremsen und ließ meiner Wut freien Lauf.
„Na ja, sie steht ihm sozusagen zu.“ Mary wirkte zerknirscht.
„Du kannst sie ihm auf gar keinen Fall überlassen, er hat euch vor die Tür gesetzt. Er hat dich in der schlimmsten Situation hängen lassen und sein eigen Fleisch und Blut auch .“ Mein Körper bebte förmlich.
„Ich kenne diese Wut, Simona. Das habe ich schon hinter mir. Und glaub mir, niemand ist wütender als ich.“
„Gib sie lieber mir, ich adoptiere sie. Bei mir wird sie es gut haben und ihr wird es an nichts fehlen. Und Camille und Curly sind nur ein Jahr auseinander.“
Rückblickend klingt das echt verrückt, aber zu dieser Zeit wollte ich einfach nicht zu lassen, das diese kleine Seele in die falschen Hände gerät.
„In meinem Testament ist alles geregelt, meine Schwester und meine Eltern werden sich Ihrer annehmen. Klar kann er , als Ihr Erzeuger alles anfechten, aber er hat schlechte Karten nachdem was
er sich alle geleistet hat. Meine Familie wird nicht zu lassen, das sie Ihnen weggenommen wird.“
Auf der einen Seite war ich erleichtert, auf der anderen Seite besorgt darüber, ob sie nicht schon resigniert hatte.
„Danke, für deine Sorge und Anteilnahme, ich weiß das sehr zu schätzen. Ich mache mir eher Sorgen, das Sie mich in Erinnerung behält.“
Also überlegten wir uns ein Videokonzept was sie zusammen mit Ihrer Familie gestalten sollte, um Curly all die wichtigen Dinge mitzuteilen und zu erklären, die Mary wichtig waren.
Sie fand die Idee genial.
Ich war traurig darüber, das ich nicht mehr für Sie tun konnte und teilte Ihr dies auch mit.
„So ein Käse “ war Ihre Antwort. „Du hast mir zugehört und aus mir wieder eine Frau gemacht.“
Ich gab Ihr meine private Telefonnummer, mit der Bitte mich in dunklen Momenten zu kontaktieren.

Als sie das Atelier, gemeinsam mit Ihrer Tochter verließ schaute ich Ihr noch ewig hinterher.

Einige Wochen später auf dem Heimweg, als ich in der Bahn saß, sah ich sie. Gemeinsam mit Curly. Ich hätte am liebsten die Notbremse gezogen, aber zum Glück konnte ich mich am Riemen reißen. Sie war sichtlich gezeichnet und man konnte sehen, das es rapide bergab ging. Ich hatte ein paar Mal versucht Sie zu kontaktieren, aber wenn ich eine Sache schon früh gelernt hatte im Umgang mit Krebspatienten, dann das die Betroffenen den Zeitpunkt selber bestimmen wann Sie reden wollen und wann nicht. Ich an Ihrer Stelle, hätte genau dasselbe gemacht. Jede einzelne Sekunde mit meiner Tochter verbracht.

Diese Frau hat sich in meine Seele gebrannt und Ihr Schicksal hat nicht nur Ihr , sondern auch mir das Herz gebrochen.

Dedicated to Curly ……
to all those who’ve lost the fight and to those who won’t quit! 

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Miss Chanel und mein roter Kopf !

Als Miss Chanel ( den Spitzname musste ich ihr geben, weil Sie außer zum Rasurtag immer in Chanel Kostümen erschienen ist ) das Atelier betrat, dachte ich mir nur :
“ Oh mein Gott, was für eine Aura, wie soll ich dieser Frau gerecht werden ?! „

Ihre Präsenz und Ihr Auftreten, selbst Ihr Wortschatz und Ihre Mimik waren so Oldschool Hollywood, das ich mich absolut klein und überfordert gefühlt habe.
Zu Beginn des Erstgespräches hat Sie die Diva auch richtig schön raushängen lassen und mich damit aufgezogen, das ich doch eigentlich noch in den Kinderschuhen stecken würde.
Nach dieser Aussage war ich nicht noch eingeschüchteter wie man erwarten würde, sondern motivierter denn je, Ihr diesen Zahn zu ziehen.
Das Blatt wendete sich ganz schnell, als sie mitbekam, das die “ Klene “ wie sie mich nach wie vor nennt, doch was auf dem Kasten hat.

Frauen kommen immer mit einer gewissen Vorstellung in ein Beratungsgespräch, sowie auch in diesem Fall Miss Chanel. Aber meist weicht das von dem ab, was möglich ist, bzw. sinnvoll ist.
Das soll jetzt nicht heißen, das man den Istzustand nicht wahren kann, das kann man. Es soll eher ein Wink mit dem Zaunpfahl sein,wenn man sich schon in eine Beratung begibt zu zuhören.

Ich nenne Alles beim Namen : „Ich bin Ihnen immer 10 Schritte voraus !“

Egal wie sensibel ich agiere, ganz besonders im Umgang mit meinen Patientinnen, so direkt bin ich und muss ich auch sein.
Es dient der Patientin nicht,Ihr etwas vorzumachen. Gegenseitige Ehrlichkeit und Offenheit sind das Fundament für eine gute und produktive Zusammenarbeit.
Es nützt nichts zusagen, dies und jenes ist möglich, wenn es nicht realistisch ist, da man ansonsten mit der Hoffnung der Frauen spielt. Die bittere Enttäuschung ein merkwürdiges Spiegelbild vorzufinden oder das Gefühl sich fremd zu fühlen wäre dann die Folge und das könnte ich mir nie verzeihen. Deswegen nehme ich meine Aufgabe sehr ernst und auch persönlich.

Ich weiß wie die Patientin aussehen wird wenn Sie rasiert ist, ich weiß wie sie aussehen wird, wenn Sie kahl ist. Dadurch das ich Ihr in allen Bereichen voraus bin, versuche ich natürlich immer in Ihrem Sinne , die Richtung zu lotsen um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen und Ihr die Angst zu nehmen dadurch eine völlig andere Person zu sein.

Veränderungen der Stilrichtung tätige ich nur, wenn es der ausdrückliche Wunsch ist oder ich definitiv sagen kann, das ist mit einer Typaufwertung gleichzusetzen und würde der Patientin positive Rückmeldung geben.

So wie in diesem Fall.
Der eigentliche Haarschnitt meiner Miss Chanel, passte weder zu Ihrem Wesen oder Auftreten, noch zu Ihrem Kleidungsstil. Ich habe immer ein bestimmtes Modell oder Bild im Kopf, sobald die Patientin das Atelier betritt. Aber das heißt noch lange nicht, das ich es auch durchsetzte. Zu 90% trifft es jedoch ein, aber nur wenn es beiden Vorstellungen entspricht.

Nachdem ich alle wichtigen Informationen Miss Chanel mitgeteilt hatte, Ihren Kopf ausgemessen und ihre Farbe bestimmt hatte, wollte ich wissen ob Sie offen für etwas anderes und neues sei.
Sie zögerte zu Beginn, ließ sich jedoch darauf ein, weil Ich Ihre Neugier angeregt hatte. Unverbindlichkeit bzw der Patientin die Möglichkeit zu geben Dinge auszuprobieren, die Sie mit Ihren eigenen Haare niemals wagen würde, ist mehr als interessant für beide Seiten.
Das kann man aber auch nur vorschlagen, wenn die Patientin wirklich offen dafür ist und vor allem muss Sie seelisch gefestigt sein. Experimente sind hier Fehl am Platz und würden die Patientin nur verunsichern.
Das traf auf Miss Chanel zu, sie war offen für Veränderungen und ich war gespannt zu sehen, was ich aus Ihr machen konnte, als ich die Anprobe vorbereitete.

Der Termin war für mich einer der interessantesten und lustigsten Erlebnisse überhaupt. Anders als sonst, erschien Miss Chanel in enger Röhrenjeans, Ballerinas und Tweedjacke. Ihre langen, langweilig herunterhängenden Haare passten gar nicht zu Ihrer Persönlichkeit und erst recht nicht zu Ihrem neuen Look. Sie übergab mir ein Geschenk und dankte mir für meine Geduld und vor allem dafür, das ich mich nicht habe einschüchtern lassen von Ihrer zu Beginn schroffen Art. Als ich das Päckchen öffnete war ich erstaunt ein Tuch vorzufinden,mit lauter Totenköpfen drauf.

„Dasselbe habe ich mir auch geholt, da Sie ja im ersten Gespräch gesagt haben, wir treten dem Krebs zusammen in den Allerwertesten“

Wow, dachte ich mir nur, diese Frau hat sich um 180 Grad gedreht. Ich war gerührt und schockiert zugleich. Ein Tuch mit lauter Totenköpfen, selbst wenn es zu der Zeit angesagt war, entsprach jetzt nicht meiner Accessoire Auswahl wenn ich mich einer Krebspatientin vorstellte.

Wir probierten verschiede Frisuren aus und Miss Chanel erfreute sich an der Tatsache, das Sie wandelbar war. Obwohl Sie felsenfest davon überzeugt war, das Ihr kurze Haare nicht stehen würden, entschied Sie sich für das kürzeste Model und empfand sich als besser frisiert denn je.
Kein Wunder, denn Sie sah aus wie die junge Jane Fonda und nachdem ich Ihr Make-up auffrischte, lag wirklich ein Hauch von Hollywood in der Luft.
Miss Chanel wollte nicht erst warten bis der Verlust Ihrer Haare einsetzte und da die Körperbehaarung schon reagierte, bestimmte Sie den Zeitpunkt selber und zwar sofort. Ich war ein wenig verdutzt, aber willigte selbstverständlich ein. Wenn ich eins schon schnell nachvollziehen konnte, dann das die betroffenen Frauen wenigstens diese Art von Kontrolle behalten wollten.

Ich finde es natürlich schade, Haare die noch gut verankert sind, Dynamik und Spannkraft besitzen zu  entfernen, aber den Zeitpunkt bestimmt die Patientin bei mir immer selber, ohne Wenn und Aber.

„Das ist wirklich der einzige Vorteil an der ganzen Chemotherapie, ich muss mich nicht mehr komplett rasieren wenn ich an den FKK-Strand gehe“ 

In diesem Moment ist mir fast die Schere aus der Hand gefallen und ich merkte nur wie mir heiß und kalt zugleich wurde.
„Aber meine Klene, Sie werden ja ganz rot.“
Ein Blick in den Spiegel zeigte mir wie recht Sie hatte. Wie eine tiefrote Tomate sah ich aus. Beide prusteten wir los vor Lachen und ich konnte nicht fassen das mir diese Frau im heftigsten Moment ihres Lebens, mit Ihrem Humor den Wind aus den Segeln nahm und wir beide wie Hühner gackerten.

Sie sah rattenscharf aus, anders kann man es wirklich nicht beschreiben. Die letzten verbleibenden zwei Millimeter gaben Ihr noch das gewisse Etwas und Sie konnte es wirklich tragen.
„Die Perücke ist toll meine Klene, aber könntest du mir mein Totenkopftuch so binden wie du es tragen würdest,bitte.“
Ich habe gedacht ich höre nicht richtig. Aber Ihr Wunsch war mir Befehl ! Es sah so abgefahren aus und ich habe ihre Message sofort verstanden. Sie trotze der Krankheit und damit gleichzeitig dem Tod und setzte ein Zeichen und mit mir hatte Sie Ihre größte Befürworterin, denn genauso würde ich es machen.
“ So werde ich raus stolzieren ! “
Nachdem wir die letzten Formalitäten geklärt hatten, nahm Sie mich in den Arm, drückte mir einen Hollywood Kuss auf die Wange, dankte mir für Alles, zog ihre Gucci Brille auf und stolzierte wie angekündigt aus dem Atelier in “ unserem “ Totenkopftuch.
Was für eine Frau !
Unser Band besteht bis heute und das Tuch trage ich nach wie vor und halte es in Ehren.

Herzlichst Eure Simona

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Warum dreht sich bei Dir alles um den Haarverlust ?

Warum dreht sich bei Dir alles um den Haarverlust ?

Mit der Diagnose Krebs und der meist bevorstehenden Chemotherapie verbinden die meisten Frauen nur ein Thema.

Oh Gott, ich werde meine Haare verlieren! „

Als ich mit meiner Tätigkeit in diesem Bereich angefangen habe , stellte sich mir auch die Frage, warum ist das so. Ist die Diagnose und die damit verbundene Krankheit nicht das worum es eigentlich geht ?!
In unzähligen Gesprächen mit betroffenen Frauen bin ich schnell darauf gekommen, das diese Frage oder die Sorge darüber, nichts anderes als ein Rettungsanker ist.

Für Außenstehende ist das ganz leicht zu sagen : “ Hey, es geht hier um dein Leben oder um Lebensqualität, nicht um deine Haare, die eh nur temporär nicht vorhanden sind.“
Das mag so sein, aber von der  Diagnose an, die wie ein Faustschlag ins Gesicht und in die Magengrube ist, breitet sich ein Gefühl von Angst und Panik bei den Frauen aus.

Kopfkino setzt ein und mal abgesehen davon, das für bestimmte Zeit der Tod einem Angst macht und beschäftigt, vergräbt man diesen Gedanken und baut sich eine psychologische Brücke.

„Der Haarverlust, das offensichtlichste Indiz dafür, das etwas mit mir nicht stimmt und das alle sofort um mich herum sehen und erkennen werden.“

„Ich werde hässlich aussehen und jeder wird sofort sehen, das ich eine Perücke trage.“

Keine Frau sieht hässlich aus, ob rasiert oder kahl. Nicht in meinen Augen. Mich begleitet dieses Bild aber auch schon seit Jahren. Oftmals ist es für Frauen das erste Mal das sie damit in Berührung kommen, wenn nicht schon jemand in der Familie oder Freundeskreis betroffen war.
Und sich selber so zu sehen ist eben was anderes, als wenn es jemand anderen trifft.

Gerade  Brustkrebs Patientinnen trifft es doppelt hart.
Die Weiblichkeit wird angegriffen in jeglicher Form. Auch wenn wir Frauen unterschiedliche kosmetische Ansprüche haben und verfolgen, die Tatsache als “ nicht offensichtlich krank “ erkannt zu werden, haben wir alle gemeinsam.
Darum gilt es behutsam mit den Betroffenen umzugehen und erst einmal tiefer zu graben und sie dafür empfänglich zu machen, worum es eigentlich geht.

Meine Erstgespräche dauern definitiv immer länger als die Anprobetermine oder Rasurtermine. Das ist auch gut so, denn sobald das Vertrauen vorhanden ist, platzt der Knoten und die Frauen teilen sich mit. Auch wenn Kliniken bemüht sind Aufklärungsarbeit zu leisten, tauchen nach wie vor Fragen auf, die ich für mehr als wichtig erachte und habe es mit zu meiner Aufgabe gemacht, diese so gut es geht zu beantworten.
Für jedes Problem gibt es eine Lösung, aber man kann von den betroffenen Frauen nicht erwarten sofort zu agieren. Es gilt eher Hilfestellung zu leisten und zu motiveren, Step by Step zu gehen. Ein offenes Ohr und eine Umarmung bewirken da oft Wunder. Und wie gesagt, eine Frau ist nicht weniger Frau nur weil Sie für eine bestimmte Zeit weniger oder gar keine Haare hat.

Es dreht sich also nicht alles um den Haarausfall, sondern um die Krankheit. Außenstehende sollten aufmerksam sein und zwischen den Zeilen lesen und erkennen das sich die Frauen daran festhalten um an Ihrem Alltag festhalten zu können.

Seid achtsam mit dem, was Ihr sagt und wie Ihr es sagt.
Haare und Haut sind immer Spiegel der Seele und das trifft es in dieser Thematik ganz genau.

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Meine erste Rasur

Einer Frau den Kopf zu rasieren kann doch nicht so schwer sein !

Wenn ich solche Aussagen höre, könnte ich aus der Haut fahren.

Mag sein, das es Menschen gibt, die das locker hinnehmen, aber ich gehöre definitiv nicht zu denen.Das ist auch der Grund, warum mir dieser Termin am wichtigsten ist.
Zu Beginn meiner Tätigkeit verliefen die Termine auch nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt habe, da ich Anweisungen befolgen musste. Aber letztendlich haben mir diese Erfahrungen geholfen, für mein eigenes Unternehmen, diesen schweren Gang für die Patientin angenehmer zu gestalten.
Miss Rose, war meine erste Patientin, der ich nach erfolgreicher Beratung und Anprobe den Kopf rasieren musste. Noch heute treffen wir uns auf eine Tasse Tee, tauschen uns aus und lassen Revue passieren. 8 Jahre ist das nun her und ich erinnere mich noch so intensiv daran, als wäre es gestern gewesen.
Es war ein Samstag und der Himmel war trüb, schon auf dem Weg zur Arbeit war ich supernervös. Zum Glück hatte ich mir diesen Termin ganz zum Schluss gelegt, da ich rückblickend danach nicht mehr hätte weiter arbeiten können.
Miss Rose kam mit Ihrem 15j. Sohn, der sich tapfer an Ihre Seite gesetzt hat. Sie selber wirkte relativ entspannt und berichtete mir, das Sie eigentlich ganz froh sei, diesen schleichenden Prozess des Verlustes loszuwerden.
Das konnte man von mir nicht gerade behaupten.
Die psychologische Treppe die Haare immer erst einmal kürzer zu schneiden und dabei in den Spiegel zu schauen, bevor man zur Rasur übergeht, habe ich direkt von Anfang durchgesetzt.
Ich habe die Diskussionen darüber mit meinem Arbeitgeber gerne in Kauf genommen.
Alleine vom Schmerzfaktor ist das die beste Methode, da man Haare ab einer gewissen Länge nicht einfach abrasieren kann. Sobald die Chemo Medikation wirkt, reagiert die Haarwurzel viel empfindlicher als im Normalfall. Die Wurzel schmerzt nicht immer, aber es wird in der Regel immer als unangenehm empfunden.
Die meisten Frauen haben sich das letzte Mal richtig kurzhaarig vielleicht in Kindertagen gesehen, somit gebe ich durch diese Arbeitsweise auch immer einen Einblick für die Zeit danach, welche Möglichkeiten man Frisurentechnisch hat.
NUR UNSENSIBLE METZGER RASIEREN LÄNGERE HAARE EINFACH RUNTER ! 
Miss Rose war nach einigen Etappen soweit, mich rasieren zu lassen. Ihr Sohn schien auch Gefallen daran zu haben wie gut seine Mutter mit kurzen Haaren aussah.
Nur ich war, nachdem ich die Maschine in der Hand hatte, wie gelähmt. 1000 Mal bin ich es im Kopf vorher durchgegangen, aber einer Frau ihre letzten Haare zu nehmen, auch wenn ich wusste das es sein musste, war eben etwas anderes als bei einem Herrenhaarschnitt.
Während der gesamten Rasur, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte liefen mir die Tränen. Ich hatte mir so vorgenommen, allein aufgrund Ihres Sohnes mich zusammen zu reißen, aber es ging nicht. Miss Rose tröstete mich, anstatt ich Sie.
Zum Glück habe ich mich nach einiger Zeit wieder beruhigen und an die richtige Anpassung der Perücke anknüpfen können.
Mit einem Glas Prosecco haben wir dann dieses besondere Erlebnis abgeschlossen, mich hat es jedoch noch das ganze Wochenende beschäftigt.
Sie hat mir danach etwas gesagt, was ich bis heute beherzige und mir vor Augen halte
“ Deine Anteilnahme ist ehrlich und deine Empathie rein, das ist deine Bestimmung, mach etwas daraus.“
Rückblickend hat Sie den ganzen Stein ins Rollen gebracht und ist mit verantwortlich dafür, das ich mich spezialisiert habe.
Heute sagen wir beide, unsere Wege haben sich nicht umsonst gekreuzt.
Ich habe bis zum heutigen Tag meine Rasuren nicht gezählt, aber eins kann ich sagen, man stumpft niemals ab und ich gestalte den Rasurtag in Absprache mit der Patientin so,dass es für Sie nicht der schlimmste Tag Ihres Lebens wird.
Dazu aber zu gegebener Zeit mehr.
Herzlichst Eure Simona

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Reingeschubst ….

Hätte man mir vor zwölf Jahren gesagt, dass ich eines Tages mit Krebspatientinnen arbeiten würde, anstatt mit den “ Schönen & Reichen “ hätte ich den oder diejenige für verrückt erklärt. 
Nicht nur, weil ich keinen blassen Schimmer von der Thematik hatte und mit Vorurteilen behaftet war, so wie fast jeder von uns , sondern auch weil das Standing rund um den Zweithaarbereich absolut verpönt war und leider nach wie vor ist.

Aber ich bin froh, das mein Weg eine andere Richtung eingeschlagen hat. Wie so oft im Leben, kommt es anders als man denkt und Jahre später bin ich genau da wo ich sein sollte. Ich empfinde und sehe meine Arbeit nicht als einen “ Job „, sondern als meine Aufgabe und Bestimmung zu helfen und unterstützen, wo ich nur kann. Aufräumen mit Vorurteilen !

Letztendlich bin ich aber in diesen Bereich reingeschubst worden.

In meinen letzten Betrieb als Angestellte war der Fokus natürlich nach wie vor auf Haare und Make-up ausgerichtet, aber die Perückenberatung für Krebs- und Alopecia Patientinnen wurde als Zusatzoption mit angeboten.
Zu Beginn war ich nicht so begeistert von meiner zukünftigen Aufgabe, und erst recht nicht mit der Abfertigung der betroffenen Frauen. Aber das legte sich schnell, als ich die Aufgabe ohne wachendes Auge übernehmen konnte und dem Ganzen meine Handschrift und persönliche Note gab. Die Notwenigkeit wurde mir immer bewusster und vor allem als ich die Dankbarkeit der Frauen zu spüren bekam, wusste ich : hier bin ich angekommen.Ich habe mich direkt hinein fühlen können und mir zur Aufgabe gemacht, alle betroffenen Frauen so zu behandeln, wie ich es mir für mich wünschen würde, sollte es mich eines Tages treffen..

Diesem Leitfaden bin ich treu geblieben und habe auf dem Fundament meiner Ausbildungen und Empathie mein eigenes Unternehmen gegründet, weil ich nur so meine Vision einer Rundumbetreuung für meine Patientinnen gerecht werden konnte. Ich wollte keine “ Rein-Raus Verkaufs Atmosphäre“ schaffen, sondern ein Wohlfühlrefugium.

Die Idee für diesen Blog stammt nicht von mir, sondern auf Wunsch meiner Patientinnen, die immer wieder Druck ausübten niederzuschreiben was ich erlebe und wie viel Mut diese erlebten Momente machen.
Dieser Blog dient nur einer Sache , mitzuteilen das man nie allein da steht, mit Vorurteilen aufzuräumen und Mut zu machen das es auf jede Frage eine Antwort oder Lösung gibt. Der erste Blog fand schon sehr viel Anklang, aber ohne ein Google Account war Feedback nur schwer möglich, also habe ich mich einfach dazu entschlossen den Anbieter zu wechseln, den schließlich ist das ein freier Markt. Ich trotze somit dem Zwangskorsett, was Google mir aufzwingen wollte.

Wichtig ist für mich nur eins :  
Berichten und aufklären – und darauf hoffen ,das es so vielen Betroffenen wie möglich hilft.

Eure Simona2601-orchidee-freigestellt